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Samstag, 20. Dezember 2014

„Ein Wörtchen, du trotzige Kuh!“ – Rezeptive political incorrectness beim Hören von „Fidelio“


Ein Wörtchen nur, und das Elend packte mich an: Am 7. Dezember gab es in der Mailänder Scala zum Saisonauftakt eine wunderschöne Inszenierung von Beethovens Freiheitsoper „Fidelio“ unter Daniel Barenboim. Sie wurde auf ARTE übertragen, ist in Deutschland und Frankreich auf der Website von ARTE noch ein paar Wochen zu sehen und auch auf Youtube in der Aussendung des RAI zugänglich (in zwei Teilen).


Ich hatte die Oper aufgenommen, habe sie jetzt gesehen und gehört und fand sie durchaus nicht so enttäuschend wie der österreichische „Kurier“ in seiner Kritik.

Aber ein Wort hat mich geradezu wütend gemacht: In der Anfangsszene versucht der verliebte Jaquino, seine Geliebte Marzelline zum Ja-Wort zur Hochzeit zu überreden und gerät bei ihren Hinhalteversuchen (sie hat sich inzwischen in Fidelio verguckt) sofort in eifersüchtige Wut.

Der junge Tenor Florian Hoffmann singt den Satz hier am 7. Dezember in der Scala klar verständlich: 

„Ein Wörtchen, du Trotzige, du!“

Jahrzehntelang haben G. und ich beim Anhören dieser Oper Beethovens (die uns sehr am Herzen liegt) auf CDs, DVDs und in verschiedenen Inszenierungen in den Berliner Opernhäusern bei dieser Zeile immer etwas anderes gehört, nämlich: 

„Ein Wörtchen, du trotzige Kuh!“. 

Vielleicht sollte die Kuh in der Intention des Librettisten auch anklingen, allein er schrieb doch das grammatisch in ungewohnter Stellung stehende harmlose „du“, wobei „trotzige“ nicht als Adjektiv steht, sondern als Substantiv.

Ach, und wir hatten immer unseren Spaß mit dem etwas groben Ausdruck von der trotzigen Kuh, der aber in unseren Augen der Situation durchaus angemessen war und sie sofort auf die Spitze trieb.
Sollte dieses Vergnügen gar etwas mit unseren eigenen Umgangsformen zu tun gehabt haben?

Wie groß war jedenfalls meine Enttäuschung, dass wir uns all die Jahre verhört haben. Als Florian Hoffmann „Ein Wörtchen, du Trotzige, du“ sang, waren wir beide empört, dass die in Europa grassierende political correctness nach allerlei anderen unkorrekten Kulturäußerungen nun auch diesen, uns erheiternden, frauenfeindlichen Ausruf einkassiert habe. Und nun war alles ganz anders. Beim Googeln hinterher wurde klar: Die geliebte Unkorrektheit existierte nur in unserer eigenen Wahrnehmung! Und unsere Empörung wegen ihrer vermeintlichen Ausmerzung beruhte nur auf selbst produzierter Luft.
 
Mojca Erdmann und Florian Hoffmann als Marzelline und Joaquino

Um sich von diesem Beitrag zu erholen, empfehle ich, einmal kurz in die Oper hineinzuhören (und sie später, in einem geeigneten Moment, ganz anzusehen). Die Ouvertüre ist hier die ungewohnte, langsamere zweite Leonorenouvertüre (Beethoven hat vier geschrieben). Dann folgt die erste Szene mit meiner "Kuh", hier am Bügelbrett:




JAQUINO
Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein,
wir können vertraulich nun plaudern.

MARZELLINE
Es wird ja nichts Wichtiges sein,
ich darf bei der Arbeit nicht zaudern.

JAQUINO
Ein Wörtchen, du Trotzige, du!

MARZELLINE
So sprich nur, ich höre ja zu.

JAQUINO
Wenn du mir nicht freundlicher blickest,
so bring' ich kein Wörtchen hervor.

MARZELLINE
Wenn du dich nicht in mich schickest,
verstopf` ich mir vollends das Ohr.

JAQUINO
Ein Weilchen nur höre mir zu,
dann lass ich dich wieder in Ruh'.

MARZELLINE
So hab'ich denn nimmermehr Ruh',
so rede, so rede nur zu.

JAQUINO
Ich - ich habe -
ich habe zum Weib dich gewählet,
verstehst du?

MARZELLINE
Das ist ja doch klar.

JAQUINO
Und, und wenn mir dein Jawort nicht fehlet,
was meinst du?

MARZELLINE
So sind wir ein Paar,

JAQUINO
Wir könnten in wenigen Wochen –

MARZELLINE
Recht schön, du bestimmst schon die Zeit,
du bestimmst schon die Zeit, …


Und hier ist der zweite Akt:

2. Akt

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