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Freitag, 30. Mai 2014

Brickfilmfestival in Dortmund

Morgen findet in Dortmund die "Steinerei", das 10. Deutsche Brickfilmfestival, statt. Das Leitthema ist dieses Jahr „Zeit“.

Der Brickfilm ist ein Genre, das mit kindlich einfachen Mitteln – Legosteinchen eben – bewegte und – wenn sie gut sind – bewegende Welten erschafft. Ein Brickfilm ist in der Regel nur wenige Minuten lang und man betrachtet ihn auf dem Computerbildschirm. 

Das Genre entstand im Schülermilieu. Das merkt man vielen Filmen an. Aber Schüler werden erwachsen und haben immer noch Spaß an den kleinen Kunstwerken. Hebt das das Niveau? Wir werden ein Auge darauf halten und von den Dortmunder Preisen berichten.


Bis dahin vergnügen wir uns mit dem Brickfilm “Der Künstler”  von Mirko Horstmann, der die Sache auf den Punkt bringt:




Samstag, 24. Mai 2014

Kaiserdämmerung (10) - Hugo von Hofmannsthal, Geist der Karpathen (1915)

Ich habe Hugo von Hofmansthal, den ich von seinen Gedichten und Erzählungen her kenne, bisher für einen eher unpolitischen Schriftsteller der Wiener Moderne gehalten. Der folgende Text aus dem Ersten Weltkrieg gibt ein ganz anderes Bild, anders als zum Beispiel im Fall Ernst Jüngers, der zwar ein heroischer Krieger, aber auch ein kalter Beobachter des Krieges und ohne nationalistische Absichten war: Hofmannsthal liefert seinen Österreichern eine propagandistische Überhöhung des Kriegsgeschehens in den Karpaten an der russischen Front, von der ich hier die erste Hälfte abdrucke:

Hugo von Hofmannsthal, Geist der Karpathen (1915)

Hugo von Hofmannsthal
Allmählich, wie die Monate hingehen, ist es, als ob sich doch schon für uns Lebende das Gesicht dieses Krieges enthüllen könnte, nicht die vorgehaltene Larve eines schlangenschüttelnden Medusenhauptes, deren Anblick das Blut in den Adern erstarren lässt, sondern sein wahres ewiges Gesicht, das die kommenden Jahrhunderte sehen werden. Allmählich wird alles, was von Monat zu Monat geschehen ist, aus dem Späteren verständlich, dass es geschehen musste und nach der Notwendigkeit geschehen ist und wir fangen an zu ahnen, wie völlig das Frühere unter dem Zwange des Späteren stand, das hereindrängen wollte. Dass wir uns dem Heranfluten des größten Heeres, das die Welt gesehen hat, entgegenwarfen, um das Herz Europas gegen den tödlichen Stoß zu decken, dass wir dann zurück über die Flüsse gegen Westen mussten, wieder vor an den San, wieder zurück ins Gebirge, und dass sich das Größte, Entscheidende endlich an und auf dem bogenförmig gegen Osten gekrümmten Bergwall der Karpathen vollziehen musste, so wie einst an den Wällen Wiens die asiatische Welle brandete und zurückging, dies alles erscheint uns heute notwendig. Es ist, als hätte dies alles nicht anders geschehen können und an keiner anderen Stelle der Welt, und als hätte der Geist, der sich hier offenbaren musste, genau alle die Umstände zu seiner Offenbarung nötig gehabt, die sich nur hier zusammenfanden, um die Kette der schwersten Prüfungen zu bilden, welche je über ein Kriegsheer verhängt wurde. Dieses Terrain, welches das Äußerste auferlegte, die schwere Not, der verzweifelte Ernst, den hier die Natur über Menschen, kämpfende, bei Tag und Nacht miteinander ringende Menschen brachte, die Jahreszeit, der nasse stürmevolle Herbst, der harte Winter, der wilde Nachwinter, die Froststarre, das Wasser, die lehmige Erde, die sich in Klumpen an die Füße hängt, der mannshohe Schnee, das vereiste, glatte Gelände, der Sturm, die Einsamkeit, die endlosen Winternächte, der von Geschossen zerfetzte splitternde Wald, die verschütteten Tunnels, die in den Fels geklemmten neuen Feldbahnen, die Notbrücken, die Pioniere bis an die Brust im eisigen Wasser stehend, die weggesprengten Bergkuppen mit feindlichen Batterien und Stellungen auf ihnen, die improvisierten Panzerzüge, die Geschütze, von Menschen an Seilen auf die Berge hinaufgezogen, es ist, als könnte man heute nichts von allen diesen Dingen mehr wegdenken.
Aber auch jenes andere lässt sich nicht wegdenken, das in so vielen Briefen und Tagebüchern immer wiederkehrt, die Erhabenheit der Natur mitten in und über all diesem Geschehen; die gestirnten Winternächte, die schweigenden verschneiten Buchenwälder, die stillen Bergkuppen im Frühlicht und jenes Aufgehen des Morgensternes in der eisigen klaren Luft, groß und zauberisch hier so wie nie und nirgends sonst, wie ein Signal, ein Feuerzeichen, immer wieder jene schwere Stunde zwischen Nacht und Tag heranführend, die mehr Blut hat fließen sehen als irgendeine andere von den vierundzwanzig. Nichts, was in diesen Monaten aus Hunderten von knappen Berichten sich unserer Seele eingegraben hat, lässt sich von diesem ungeheuersten aller Kriegserlebnisse ablösen. Nie wird von den Namen all der Karpathenflüsse der Schicksalsklang abfallen; wenn wir Dunaje hören werden oder Biala, Ondawa und Orawa und Laborcza, Ung oder Stryj, so wird in uns im Tiefsten etwas erbeben, das vor diesem Krieg nicht da war. Wir sprechen diese Namen aus und wir fühlen, dass sie in uns, nicht wir in sie, das Erhabene legen, das wir nur in vergangenen Zeiten zu suchen und zu ahnen gewohnt waren. Dies gegen Osten gekrümmte Waldgebirge, dieser östliche Bergwall der Monarchie ist durch ein ungeheures Geschick zu einer heroischen Landschaft ohnegleichen geworden. Tal um Tal, Schlucht um Schlucht, sie waren der Schauplatz, auf dem der Krieg sich seine Helden erzog. Hier wurde aus einer bloßen Masse von Soldaten ein Heer, das kriegsgewohnteste, unüberwindlichste, das seit den Tagen des Prinzen Eugen unter dem Doppeladler gefochten hat. Hier gab es jene Improvisationen, die aus Haufen von Landstürmern, von huzulischen Bauern, von Gendarmen und Zollwächtern ruhmreiche Kampfgruppen machte, deren Taten in schweren Wochen die Herzen höher schlagen ließen. Hier geschah diese Auslese, wie kein General sie vollziehen kann, sondern nur das eiserne Geschick, hier diese Verschmelzung vieler zur harten, kühnen Einheit. […]

Aus: Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Kritische Ausgabe Band XXXIV, Frankfurt am Main 2011, S. 162-166

Mittwoch, 21. Mai 2014

Ein Berlin-Rap: Peter Fox - Schwarz zu Blau

Wird mal wieder Zeit für etwas Musik aus der Jetztzeit: ein Berlin-Rap von Peter Fox (auch schon wieder fünf Jahre her).

Ich kannte ihn bis heute nicht, aber freue mich über meine neuen (Musik-) Kontakte. (Mit Dank an P.)





Für den Text bitte hier klicken:

Walter Kempowskis Plankton-Projekt



“Bücher sind nicht das Leben” hat die Leseratte gerade als Zitat von Julian Barnes gebracht. Wenn man sich dann das “Plankton-Projekt” von Walter Kempowski anschaut, das auch posthum weitergeführt wird, können einem schon Zweifel kommen


Jeder kann in diesem Folgeprojekt vom “Echolot” sein eigenes Leben einbringen, entweder gratis auf der Website oder – für 90 Euro – als Teil des individuell für dich gedruckten Buches “Plankton. Ein kollektives Gedächtnis”. Auf dessen Cover steht dann dein Name als Co-Autor von Walter Kempowski.

Montag, 12. Mai 2014

Der Tod der Literatur in der Literaturwissenschaft



Der Journalist Thomas Steinfeld (Süddeutsche Zeitung) schreibt im neuen Merkurheft sehr lesbar und provokant über die Rolle von Theorie und Methoden in der westdeutschen Literaturwissenschaft seit den siebziger Jahren. Ich erinnere mich gut an diese Phase und habe die späteren Entwicklungen mit einem gewissen Grausen aus dem Ausland mitverfolgt. Hier ist eine kleine Kostprobe:


Der intensive Umgang mit Methoden in den siebziger und achtziger Jahren habe “weniger mit Theorie zu tun als mit dem Vorhaben, in einem sich schnell ausweitenden Fach möglichst viele Positionen zu besetzen, womöglich noch ausgreifend auf andere Fächer. Es kommen hinzu: das Versprechen einer reformierten Universität auf gesellschaftliche Relevanz […] und die Verpflichtung auf einen Pluralismus der Methoden […] Das hat schließlich dazu geführt, dass in der neueren deutschen Philologie lauter junge Menschen ausgebildet werden, die der Literatur im Grunde fernstehen, also gar nicht auf den Gedanken kämen, Lesen hätte etwas mit Leidenschaft oder gar Schmerz zu tun – und nichts hat dem Fach mehr geschadet als diese Gleichgültigkeit."

Thomas Steinfeld, “General Stumm betritt die Bibliothek. Über Wissenschaft, Theorie und Methode in der Philologie”, In: Merkur Nr. 780, Mai 2014, 387-399, das Zitat: 392

Samstag, 10. Mai 2014

Die reinste Form der Liebe

“Die Liebe zu einem Schriftsteller ist vielleicht die reinste, die beständigste Form der Liebe.”

Julian Barnes, Flauberts Papagei (1989), 185
Da ist was dran. Bei mir wären das, was die deutschen Schriftsteller betrifft, Ernst Jünger und Arno Schmidt. Wahrscheinlich zeigt sich das auch im Bücherregal: Jünger kommt bei mir auf zwei Meter, mehr als jeder andere. Und was habe ich ihn immer verteidigen müssen, auch gegen G., meine ganz andere große Liebe.

Ist das bei ihr etwa eine Form von Eifersucht? Aber nein, das ist natürlich nicht vergleichbar, und das weiß Barnes auch.


Immerhin: Jünger liebe ich seit 1969, G. seit 1971.


Freitag, 9. Mai 2014

Kaiserdämmerung (9) – August Stramm, Der Letzte


August Stramm, Der Letzte (1914)
 
August Stramm

He! da oben! lachen! ich lache! drei Tage stürzen! brüllen! drei Tage Jahre Ewigkeiten! und bist noch nicht zerstürzt! verfluchter Himmel! Blaubalg! pafft Zigarren und stiebt Asche. alles zusammen. den Graben. Schützengraben. Schutz. Grab. die Stellung wird gehalten bis zum letzten Mann! vorwärts Jungens. das Blaugespenst klimmt rote Augen auf. rot. feuerrot. verschlafen. der Tag hält nicht aus. so oder so! schießt! schießt! der Wald! ja. in den Wald! Schädel. Wolken. lustig! der beste Schütze darf. Ja. darf zuerst schlafen. Teufel! schlafen. Mord Müdigkeit Rasen Wut! He! Bursche! Bursche da vorn! willst du? willst du schießen?! du? ja? der Kopf zwischen die Beine geklatscht? Drückeberger! schießen! knallen! seht! sie kommen aus dem Wald. raus aus dem Lauf! die Backe gesetzt! brav! brav! Schnellfeuer! Blaue Bohnen! Bohnen! Blaue Augen! mein Schatz hat blaue Augen. haha! drauf! drauf! sie laufen. Korn nehmen. Zielscheiben. laufen. Mädchenbeine. ich beiße. beiße. verflucht. Küsse scharfe. drauf gehalten! Standvisier Aug in Auge! Wasser? was? die Läufe glühn? alle Schläuche glühn. letzte Nacht hat die Feldflasche zerschlagen. das trockne Glas geleckt. die Zunge blutet. schluckt. schluckt. schießt die Flinten kalt. euch selber kalt! kaltes Blut! da vorne pfützt Wasser. pfui Teufel! gierig! Dreck! Blut. blutiger Dreck. Blut modert zu schnell. Feuer! Schnellfeuer! raus! nicht einschlafen! wer? nehmt ihm die Patronen aus der Tasche. wir brauchen sie. der Kerl blutet! ein kleines Loch kann so bluten! schießen! Zielpunkt. Donner! Knacken! das Flattern! so müßt ihr auch schießen. zielen. zielen. gut. ruhig. die Hunde drüben. die arme Erde. Brief in der Tasche? natürlich. schlapp und gleich tot auf der Nase. »mein lieber Mann!« ja. Männer brauchen wir. aber keine toten hier. essen. Bröckel Schokolade. Mutter. schießt Kerle. ach Mütter weinen immer. schießt! ich war ein weicher Junge. Teufel! Kopf hoch! die Nasen aus dem Dreck! was?! keiner? alle? Faullenzer! Verstärkung. hört ihr? Verstärkung kommt. Feind nicht ranlassen! die Flinten vor! Teufel! totsein ist Schande! seht! ich schieße. schieße. Verstärkung. hört! Trommeln. Hörner. tata trrr! eilt da hinten! eilt! Muttertränen. Vaterbrünste. Dreck! drei Tage Dreck! Menschen! meine Mutter hat mich immer so sorgsam gewaschen. Grab. Hölle. Teufel. mein Arm schießt. Finger ladet. Auge trifft. hurrah! hurrah! die Beine in die Hand! hurrah! Tod und Leben! hurrah! Eisen! hurrah! drauf! Mein Kopf! Kopf! wo ist mein Kopf? voran. fliegt. kollert. brav. Bursche! in den Feind! beißen beißen! Säbel! ha! weich der Vaterbauch. weich. Mutter. wo bist? Mutter. seh dich nicht? Mutter du küßt. Mutter. rauh. halte mich. ich falle doch. Mutter ich falle. Mutter.