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Mittwoch, 15. Mai 2013

Eine Reise nach Polen (Jahreswechsel 2008/09)


Ich glaub mich tritt ein Pferd: Polen (1)
 
Hier noch einmal meine Polen-Reihe aus dem alten Blog im Januar 2009: Viele, viele positive Eindrücke, viele deutsche und deutsch-polnische Gespräche auch mit der Art von Humor und Lachen, die ich in den Niederlanden so vermisse.

Der einzige negative Eindruck meiner Reise ist noch auf meiner rechten Hand sichtbar. Bei einer wunderschönen Pferdeschlittenfahrt geschah das Undenkbare: das Pferd direkt vor mir schlug aus und traf meine Hand. Ich hatte dieses Pferd vorher bereits von hinten fotografiert. Vielleicht lag’s daran. Und es hieß Diana und war etwas wild. Vielleicht sah sie in mir eine willkommene Beute. Dafür bin ich ihr noch gut entkommen, nur eine Prellung…

Diana (rechts)

Zum Weiterlesen hier klicken:

Polen (1)

Ich wollte noch von meiner Polenreise berichten: G. hatte im September ihre ehemalige Schulfreundin B. wiedergetroffen, die in Masuren im ehemaligen Ostpreußen Initiativen zur deutsch-polnischen Verständigung unterstützt. B. schlug uns vor, Silvester auf einer Burg in Reszel zu verbringen (das ist etwa 40 km südlich von Kaliningrad). Ihre Mutter ist in Allenstein geboren. Nach einem – auch politisch - abenteuerlichen Leben mit vielen Ortswechseln hat B. seit einigen Jahren in Masuren die Erfahrung der Ruhe gemacht und dass sie „dahin gehört“ und Schutz und Kraft aus dieser Landschaft erfährt.

Ich wäre nicht ohne weiteres darauf gekommen, nach Ostpreußen zu fahren, aber die Idee und einige Begleitumstände schienen mir exotisch genug, es dann doch zu tun. Wir waren eine kleine Gruppe, zu der auch zwei ältere Damen aus B.s Verwandtschaft gehörten, die dort geboren waren und mit der Fluchtwelle von 1944/45 vertrieben wurden. So gibt es dort heute viel Ursprungstourismus von Deutschen. Und es gibt auch Versuche von Deutschen, sich dort wieder einzukaufen, was aber offiziell gar nicht geht. Polen hat sich mit dem Beitritt zur EU hier aus guten Gründen eine vorläufige Kaufsperre ausbedungen. Dennoch ist es einigen Deutschen gelungen, mit geschickten juristischen Konstruktionen zu Hauseigentum zu kommen. Die alte Bischofsburg, in der wir wohnten, gehört einem Düsseldorfer Manager, der dort auf seine Weise zur polnisch-deutschen Verständigung beiträgt: Er hat in der Burg ein modernes Hotel mit westlichem Komfort eingerichtet und sie zu einemTreffpunkt polnischer Künstler und Intellektueller gemacht, mit politisch korrekten deutschen Einsprengseln. Eine deutsch-polnische Silvesterparty mit ca. 80 flotten Leuten aus Allenstein und Warschau, einem Riesenessen und viel Wodka hat uns begeistert und am Ende auch etwas (?) benebelt den Jahreswechsel erleben lassen.

Die Burg in Reszel
Der deutsche Eigentümer, der – bei aller Sympathie in den ersten Begegnungen sich auch alter Heidelberger Burschenschaftler erwies - ist also Burgherr und Arbeitgeber für junge Polen aus Reszel, die sonst arbeitslos wären: Wiederholung eines alten Musters. Aber ohne ihn wäre die Burg verfallen und das Städtchen ohne Reiz. Ohne ihn und B., die ihm näher stand, als wir vorher wussten, hätten wir nicht viel von Masuren gesehen und erlebt. Und es gab noch etwas, das mich gereizt hat, aber darüber berichte ich das nächste Mal.


Polen (2)
 
Bevor ich zu dem in meinem letzten Beitrag angekündigten Thema mit eher überraschenden Aspekten komme, hier noch ein paar weitere Eindrücke meiner Reise nach Polen. Auf einem unserer Ausflüge von der Burg in Reszel aus kamen wir – für mich ganz überraschend – mit unserem VW-Bus durch den Wald, in dem die Bunker der Wolfsschanze liegen. Ich hatte mir für diese Reise vorgenommen, genau das eben nicht einzuplanen, sondern ganz entspannt die Schönheit der Landschaft im Schnee zu genießen, einen Eindruck vom heutigen Polen zu gewinnen und Kontakte zu jüngeren Polen zu haben, die seit dem Beitritt zur EU endlich die Gelegenheit haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und einen, wenn auch bescheidenen, Wohlstand zu erlangen. Das hatte ich bereits bei einem mehrtägigen Aufenthalt in Krakau vor einigen Jahren erfahren, wo ich von der zeitgemäßen ‚Europeanness‘ der jungen Leute sehr beeindruckt war. Krakau gehört allerdings zu den wenigen wirklich blühenden Landschaften Polens.
 
Am zugefrorenen See
 
Der Nordosten, das ehemalige Ostpreußen, braucht dagegen Touristen, ist aber diesbezüglich noch wenig entwickelt. Neben einem katholischen Kloster im regional untypischen barocken Stil, das Tausende einheimische Pilger anzieht, ist die Wolfsschanze eine Hauptattraktion, die auch ein internationales Publikum anlockt, natürlich auch viele Busladungen aus Deutschland. Irgendwann werde ich dort einmal eine Führung (mit einem polnischen Führer) mitmachen, jetzt war ich eher erschrocken und dann aber auch fasziniert, als direkt im Wald an der Straße entlang einige Bunker zu sehen waren. Und dann habe ich auch, halb gegen meinen Willen, aus dem Auto heraus ein Foto gemacht, das ich hier anfüge.


Zurück in Groningen hatte ich in meiner ersten Sprechstunde des neuen Jahres eine Studentin, die ihre Examensarbeit über die verschiedenen Verfilmungen des Attentats vom 20. Juli 1944 schreiben möchte, dies auch im Zusammenhang der verschiedenen Phasen gesellschaftlicher Akzeptanz dieses Attentats. Direkter Anlass war natürlich der neue Film ‚Valkyrie‘ (Operation Walküre) mit Tom Cruise. Das ist eine der zahllosen Situationen, in denen ich in meinem Arbeitsleben immer wieder mit der Nazizeit konfrontiert werde. So werde ich auf Wunsch einer Studentenvereinigung im Februar einen Vortrag über Propagandafilme im Dritten Reich halten – Leni Riefenstahls Filme sind fester Bestandteil eines Seminar, das ich seit Jahren gebe - und so habe ich schon oft vor jungen und alten Niederländern (Seniorenuniversität) über Hitler gesprochen und Filme wie den ‚Untergang‘ eingeleitet. Diese Woche läuft ‚Valkyrie‘ an und ich warte auf die erste Mail mit einer Einladung.

Meine Entscheidung für den weißen Schnee und gegen die schwarzen Bunker war natürlich auch ein Vermeidungsverhalten. Dass das nicht funktioniert, hat mir auch unsere Rückfahrt bewiesen. Wir hatten nur Fahrkarten für die längere Route über Danzig bekommen, was natürlich auch wieder spannend war: einfach mal mit dem Zug durch diese Stadt zu fahren und zu gucken. Kurz vor Danzig kommt man durch Marienburg; mit dem Ort habe ich nichts verbunden. Vom Zug aus hat man ein guten Blick auf die riesige mittelalterliche Ordensburg:



Wie schon bei unserem kurzen Aufenthalt in Allenstein hatte ich den Eindruck sehr sorgfältiger Restauration und Unterhaltung historischer Bauten. Wieder zuhause lese ich im Spiegel dieser Woche von der Entdeckung eines Massengrabes direkt im Windschatten dieser Burg: 1800 Überreste nackt begrabener Körper, zum Teil mit Einschusslöchern. Diese wahrscheinlich deutschen Opfer  des Kriegsendes 1944/45 sind allerdings keinen Ereignissen direkt zuzuordnen. Vergangenes Grauen ohne konkrete Zuordnung: diese Landschaft ist voll davon und man kann ihm nicht entkommen. Im Spiegel steht das Foto vom Kriegsende, das die Burg in zerstörtem Zustand zeigt. In diesen Zusammenhang gehören die nun gefundenen Leichenreste.
 
Der niederländische Künstler und Schriftsteller Armando spricht in vergleichbaren Zusammenhängen von ‚schuldiger Landschaft‘ und hat auch Bilder mit diesem Titel gemalt.
Armando hat auch eine Zeit lang in Berlin gelebt und - wie Cees Nooteboom in seinem Roman ‘ Allerseelen’ - lange Stadtwanderungen unternommen und seine Wahrnehmungen in ganz kurze unscheinbare Texte gefasst. Aber gerade die haben es in sich.

Polen (3)

Als wir an den Bunkern der Wolfsschanze vorbeifuhren, waren wir auf dem Weg nach Steinort. Der kleine Ort und das gleichnamige Schloss liegen 16 Kilometer von der Wolfsschanze entfernt. Das Gebäude steht seit langer Zeit leer und verfällt zusehends. Es gehört zwar seit ein paar Jahren irgendeinem westlichen Investor, der ist aber vor allem an dem ausgedehnten Grundbesitz und an den touristischen Möglichkeiten in der masurischen Seenlandschaft interessiert  und nicht an der kostspieligen Erhaltung dieses Barockschlosses aus dem 17. Jahrhundert.

Schloss Steinort
G.s Schulfreundin B. hat hier ihre Restlebensaufgabe entdeckt: Sie will Steinort retten. Das klingt etwas pathetisch mit zynischem Unterklang von meiner Seite, aber man muss es – so glaube ich jedenfalls - akzeptieren: Sie hat in der Landschaft ihrer Mutter eine Quelle für Sinn, Kraft, Ruhe und Identität gefunden. Mit Steinort selbst hat das nichts zu tun: Das Schloss ist mehr ein Symbol, in dem sich kollektive Erinnerungen und gegenwärtige Möglichkeiten verbinden. Sie ist schon einige Jahre damit beschäftigt, durchaus realistisch: Sie packt es gut an und weiß, dass eine allein so etwas nicht schaffen kann. Und sie weiß auch, dass dies eine polnische Angelegenheit bleiben muss, sei es mit deutsch-polnischen Einsprengseln. Gerade hat es eine entsprechende Konferenz in Allenstein gegeben, mit Beteiligung von polnischen Ministerialbeamten. Man erwägt eine Enteignung des touristischen Investors.

Am Schloss Steinort hängen mehr als dreihundert Jahre preußische Tradition, Kultur, Leben, Arbeit und das schreckliche Ende. Wer sich mit dieser Geschichte ein wenig beschäftigt, entdeckt mehr die positiven als die negativen Konnotationen des Preußentums. Das Geschlecht der Grafen von Lehndorff, das mit diesem Haus verbunden war, zeichnete sich, jedenfalls in den letzten Generationen und soweit ich es übersehe, durch die gelebte Verpflichtung von Herrschaft gegenüber den Untergebenen und Abhängigen aus. Ich habe mich, wie viele meiner Generation, erst spät mit diesen Dingen beschäftigt und manches relativieren müssen, was ich in den sechziger bis achtziger Jahren als historische Wahrheit und Konsequenz der Nazierfahrung denken zu müssen geglaubt hatte.

B. hat einen Verein der Freunde Steinorts gegründet und versucht, zusammen mit polnischen Vereinen und Institutionen, eine neue Bestimmung für das Schloss zu finden, etwa in Richtung internationales Tagungszentrum oder als Gedenkort mit musealen Anbindungen in der Umgebung.

Nach meiner anfänglichen Skepsis habe ich, wie ihr merkt, inzwischen viele Dinge erfahren, gelesen und nun auch gesehen und von Deutschen und Polen gehört, die mich nachdenklich gemacht und in diese Sache hineingezogen haben. Ich bewahre weiterhin den Abstand, den ich für angemessen halte, denn ein versunkenes Preußentum fühle ich nun weiß Gott nicht in mir. Aber ich habe in den letzten Jahren so viel mit dem Komplex „Geschichte + Erinnerung + Gedenken + Mahnung + Täter + Opfer“ zu tun gehabt, dass ich bei näherem Hinsehen und vor allem im Hinblick auf die dramatischen Ereignisse an diesem Ort im Juli 1944 und ihren Folgen auch „etwas“ damit machen möchte. Was das ist, wird euch in mehreren Beziehungen überraschen und verblüffen.

Polen (4)

Das Herrenhaus Steinort (heute: Sztynort) war seit seiner Gründung im 17. Jahrhundert im Besitz der Familie der Grafen von Lehndorff-Steinort. Der letzte in dieser Reihe war Graf Heinrich Ahasverus von Lehndorff. Er hatte eine Frau und vier Töchter. Lehndorff gehörte zum Kreis des 20. Juli 1944 und wurde einen Tag nach dem Attentat auf Hitler verhaftet. Er machte einen Fluchtversuch durch den Park auf der Rückseite des Schlosses, kehrte aber zurück, da er um seine Familie fürchtete. Am 3. September 1944 wurde er in Plötzensee an einer Klaviersaite erhängt.

Seine Familie war wie alle Angehörigen des Kreises um Stauffenberg in Sippenhaft genommen worden. Die Töchter wurden von der Mutter getrennt und kamen in ein Kinderheim (aus dem sie Marion Gräfin Dönhoff, eine Cousine Heinrichs, später herausholte).

Eine dieser Töchter war Vera, 1939 geboren, zum Zeitpunkt des Geschehens also gerade mal fünf Jahre alt. Leute meiner Generation kennen Vera unter dem Namen Veruschka von Lehndorff oder einfach als Veruschka, das amerikanische Supermodel der sechziger Jahre. Und wenn euch der Name nichts sagt, dann kennt ihr sie doch von der berühmten Szene aus dem Film „Blow up“ von Michelangelo Antonioni aus dem Jahre 1966: David Hemmings tritt als Fotograf auf und fotografiert das Model Veruschka in einer vierminütigen Szene, in der der Akt des Fotografierens als Analogie zum Sexualakt inszeniert wird. Ihr könnt sie euch hier anschauen:


http://www.youtube.com/watch?v=wygqlfUoJEs
„Blow up“ wurde damals von vielen als rätselhaft empfunden und gab Anlass zu allerlei Diskussionen. Wir waren noch nicht so geübt in Erkenntniskritik und Wahrnehmungstheorien. Der ganze Film dreht sich um das Verhältnis von Bild, Wahrnehmung und Realität. Er endet mit einer weiteren berühmten Szene eines Tennisspiels ohne Ball. David untersucht die Stelle im Park, an der die Leiche gelegen haben muss, die er fotografiert zu haben glaubte… Nichts deutet mehr darauf hin. Dann kommt der Jeep mit den Pantomimen. Ihr erinnert euch:



Ich glaube nicht, dass es uns damals interessiert hat, welchen biografischen Hintergrund Veruschka hatte, und wenn wir es gewusst haben oder gewusst hätten, dass sie eine ostpreußische Gräfin von Lehndorff war, dann hätten wir mit den Achseln gezuckt und gesagt: Na und wenn schon; es gibt kein Ostpreußen mehr.

Den Zusammenhang ihrer Familiengeschichte mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 habe ich erst vor einigen Monaten erfahren. Sie lebt übrigens noch. Nachdem sie lange Zeit Deutschland gemieden hat, wohnt sie nun, 70jährig, in Berlin und ist letztes Jahr zum ersten Mal nach Steinort zurückgekehrt. Ihr Leben war härter, als die Karriere als Supermodel vermuten lässt. Dazu demnächst mehr.




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