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Montag, 31. Dezember 2012

Besinnliches zum Jahreswechsel: Poetry Slam Finale 2012

Ist das nun eine Trendwende in der Slam Poetry? Sind die exzentrischen und effekthascherischen Jahre vorbei?

Die Gewinner im wichtigsten Slam-Event des Jahres 2012 zeichnen sich durch besinnliche und introvertierte Auto-Bio-Prosageschichten aus, in denen nur noch in der Conclusio einige gereimte Rapzeilen auftauchen.
Da kann es auch kein Zufall sein, dass es sowohl im Beitrag von Jule Weber (Siegerin in der Kategorie U 20) als auch in dem von Jarawan um “kleine Brüste” ging. Ängste um die Weiblichkeit. Ängste um die Männlichkeit?

Bei einsplus kann man diese (und auch die anderen Beiträge) sehen.
Nun, bei Jarawan geht es um die Brustwarzen, die Batman (schon seit 1995) trotz seines dicken Körperpanzers sehen lässt. Sollte es sich dabei um die Angst vor der Verweiblichung beziehungsweise Verweichlichung des Mannes handeln? Das Thema ist in: Auch der letzte SPIEGEL im alten Jahr widmet seine Titelgeschichte der “Männerdämmerung”.

Sonntag, 30. Dezember 2012

Besinnliches zum Jahreswechsel: Franz Kafka (3)

“Es ist nicht notwendig, dass Du aus dem Haus gehst. Bleib bei Deinem Tisch und horche. Horche nicht einmal, warte bis es Dich bedrängt. Warte nicht einmal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich Dir die Welt zur Entlarvung, sie kann nicht anders, verzückt wird sie sich vor Dir winden.”

Freitag, 28. Dezember 2012

Besinnliches zum Jahreswechsel: Franz Kafka (1)

Franz Kafka, Kleine Fabel

»Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.« – »Du mußt nur die Laufrichtung ändern«, sagte die Katze und fraß sie.

Montag, 24. Dezember 2012

Der beste deutsche Weihnachtsfilm

Bei all dem Fernsehelend zu Weihnachten habe ich mich gefragt, was wohl der beste deutsche Weihnachtsfilm sein könnte. Dabei bin ich bei Wikipedia auf eine Liste der Weihnachtsfilme aller Zeiten (also der letzten hundert Jahre) gestoßen.

Was an dieser Liste sofort auffällt, ist die absolute Vorherrschaft der US-Produktionen. Mehr als 90% aller Weihnachtsfilme stammen aus Amerika, und sie verteilen sich über alle Genres: Es gibt Weihnachts-Western, Weihnachts-Horrorfilme etc. etc. Aber beim Großteil handelt es sich um Weihnachtskomödien für die ganze Familie. Ich will darüber nicht mäkeln; es gibt vergnügliche und respektable Filme darunter.

Von der Handvoll deutscher Filme sind die meisten als Kinderfilme gemacht und oft von erbärmlicher Albernheit. Ich wollte schon aufgeben, aber da klickte ich diesen deutsch-österreichischen Film an: Das ewige Lied (1997) des bayerischen Regisseurs Franz Xaver Bogner. Nie gehört, nie gesehen.

Es scheint sich um eine Art Weihnachtskrimi zu handeln, in dem aber auch die Geschichte der Entstehung des bekanntesten deutschen Weihnachtsliedes erzählt wird: Stille Nacht, heilige Nacht. Das Ganze spielt im Jahre 1818 in Oberndorf bei Salzburg, einer Stadt, die kurz vorher nach der napoleonischen Zeit in eine bayerische und eine österreichische Hälfte geteilt worden war.
Das folgende YouTube-Fragment zeigt nur das stimmungsvolle (nicht: kitschige) Happy Ending des Films mit der Entstehung des Liedes; vorab muss es allerlei Turbulenzen gegeben haben. Nach ein wenig Gegoogle bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass dies der beste deutsche Weihnachtsfilm sein muss.

 

Leider ist er im diesjährigen TV-Programm nur bei entlegenen Sendern und zu unmöglichen Spielzeiten zu sehen. Aber manche Leute verfügen ja über eine Satellitenantenne und einen Rekorder.
Was die Wikipedia-Liste betrifft, bin ich etwas skeptisch. Sollte es denn keine wunderbaren russischen, schwedischen, italienischen oder südamerikanischen Weihnachtsfilme geben?

Samstag, 22. Dezember 2012

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel – Kultfilm zu Weihnachten

Dieser Film ist in den deutschen Fernsehprogrammen zwischen dem 22. und 27. Dezember sage und schreibe sechzehn Mal zu sehen, öfter als Sissi. Ich selber habe ihn auch schon mindestens ein halbes Dutzend Mal gesehen. Er ist wirklich ganz süß. Das liegt an der liebenswerten tschechischen Märchenfilmästhetik.



“Drei Haselnüsse für Aschenbrödel” (1973) ist eine DDR-ČSSR-Koproduktion des tschechischen Regisseurs Václav Vorlíček.
In der ZEIT dieser Woche steht in der Rubrik "Reisen" ein enthusiastischer Artikel des Schriftstellers Stefan Beuse, der sich als Junge in die Hauptdarstellerin Libuše Šafránková verliebt hat, verständlich: 

 
Durch den Artikel wurde mir zum ersten Mal klar, wo der Film gedreht worden ist: u.a. bei Schloss Moritzburg in der Nähe von Dresden, seit Jahrzehnten ein Kultort für die Liebhaber dieses Films. Das war mir als ignorantem Wessi noch nicht aufgefallen, und ich muss da auch wohl mal hin.
 
Der Film beruht auf einer Variante des Grimmschen Märchens der tschechischen Schriftstellerin Božena Němcová (Barbara Pankel, 1820-1862), die den Stoff mit dem Motiv der drei Haselnüsse verbindet.

So, jetzt muss ich aufhören. Der Film fängt in einer Viertelstunde an (14:55 Uhr im ersten Programm).

Donnerstag, 20. Dezember 2012

200 Jahre Hausmärchen von Grimm: Alles Käse?

Zur Feier des Tages hier ein kleines Märchen der Gebrüder Grimm:

Die Brautschau

Es war ein junger Hirt, der wollte gern heiraten und kannte drei Schwestern, davon war eine so schön wie die andere, dass ihm die Wahl schwer wurde und er sich nicht entschließen konnte, einer davon den Vorzug zu geben. Da fragte er seine Mutter um Rat, die sprach: »Lad alle drei ein und setz ihnen Käs vor, und hab acht, wie sie ihn anschneiden.« Das tat der Jüngling, die erste aber verschlang den Käs mit der Rinde: die zweite schnitt in der Hast die Rinde vom Käs ab, weil sie aber so hastig war, ließ sie noch viel Gutes daran und warf das mit weg: die dritte schälte ordentlich die Rinde ab, nicht zu viel und nicht zu wenig. Der Hirt erzählte das alles seiner Mutter, da sprach sie: »Nimm die dritte zu deiner Frau.« Das tat er und lebte zufrieden und glücklich mit ihr.

 
Ich liebe ja kleine Geschichten. Sie sind vielleicht weniger simpel als es scheint. Jedenfalls stellt sich mir die Frage, wie das Leben des jungen Hirten verlaufen wäre, hätte er sich – nicht dem Rat seiner Mutter folgend – für die erste oder zweite Schwester entschieden. Beide scheinen auch ihre Qualitäten zu haben, und die dritte wirkt doch ein wenig langweilig, oder?

Verbrechen der Wehrmacht in Italien

Spiegel-Online berichtet über die Resultate einer Historikerkommission zu den Verbrechen der deutschen Wehrmacht in Italien.

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Die Zauberflöte in Amsterdam, Antwerpen und Berlin – Drei Bilderwelten

Drei völlig verschiedene Zauberflöten, die gleichzeitig laufen. Was für Bilderwelten! Hier nur ein paar kurze Fragmente, die die unterschiedlichen Inszenierungen und Interpretationen andeuten:

-   Amsterdam, Muziektheater. Hierzu gab es bereits einen Beitrag in Café Deutschland, da ich die Oper selbst gesehen habe. Ich habe aber einen neuen Youtube-Film gefunden. Diese Inszenierung scheint mir die interessanteste und avancierteste der drei zu sein.










Dienstag, 18. Dezember 2012

Schöne Waffen: Sig Sauer und Glock


Die beiden Pistolen des Amokläufers von Newton: Sig Sauer aus Deutschland und Glock aus Österreich.









 
 

 Qualitätsprodukte aus deutschen Landen

Sorel & Seksik, Die letzten Tage von Stefan Zweig: Die schönste Graphic Novel

Die schönste Graphic Novel, die ein Thema der deutschen Geschichte und Literaturgeschichte mit Bildern erzählt, ist “Die letzten Tage von Stefan Zweig” (2012) von Guillaume Sorel und Laurent Seksik. Sie beruht auf dem in Frankreich sehr erfolgreichen Roman “Vorgefühl der nahen Nacht” und ist von dem französischen Autor Seksik selbst in ein Graphic-Novel-Szenario umgesetzt worden.

Stefan Zweigs Exil verlief über die Stationen London (1934) , New York, Paraguay, Argentinien, Brasilien (1940), wo er sich 1942 zusammen mit seiner zweiten Frau, der 30 Jahre jüngeren Charlotte Altmann, das Leben nahm. Diese letzte Phase seines Lebens ist das Thema der Graphic Novel.
Der Zeichner Guillaume Sorel war bisher mehr für fantasy-artige Comics bekannt und hat jetzt für diesen außerordentlich schönen großformatigen Band einen neuen realistischen Aquarellstil entwickelt. Mit einer Mischung aus düsteren und hellen Farben  fängt er die triste Atmosphäre von Zweigs Exilaufenthalt im lebensfrohen und naturschönen Brasilien bis zum gemeinsamen Selbstmord mit Lotte ein.


Die deutsche Ausgabe kostet 24 Euro, die niederländische (Casterman Verlag) 17,50. Dieses Buch ist ein Kunstwerk, aber es ist zu befürchten, dass deutsche Leser und Intellektuelle , die sich für Zweig interessieren, es nicht kaufen werden, weil sie die Gattung Graphic Novel für minderwertig halten. Dies ist die Gelegenheit, das Vorurteil zu überwinden. Wer noch ein schönes Weihnachtsgeschenk sucht: Dies ist mein Tipp.

Sonntag, 16. Dezember 2012

Germans in the Woods – Eine kleine traurige Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg

Auf der Website StoryCorps werden kleine Geschichten erzählt, die sich wirklich zugetragen haben:

“StoryCorps is an independent nonprofit whose mission is to provide Americans of all backgrounds and beliefs with the opportunity to record, share, and preserve the stories of our lives. Since 2003, StoryCorps has collected and archived more than 40,000 interviews from nearly 80,000 participants. Each conversation is recorded on a free CD to share, and is preserved at the American Folklife Center at the Library of Congress. StoryCorps is one of the largest oral history projects of its kind, and millions listen to our weekly broadcasts on NPR’s Morning Edition and on our Listen pages.”
In der Rubrik Animated Shorts werden die Geschichten mit einem Trickfilm verbunden. Hier habe ich die folgende traurige kleine Geschichte gefunden:


Dienstag, 11. Dezember 2012

Die Zauberflöte als Poldermodell der Oper: Bezauberndes aus Amsterdam

Beim Betreten des Saales eine Enttäuschung: die Bühne war öd und leer. Kein Vorhang, keine Kulissen. Nur eine graue, tiefe Fläche, ganz wie die eintönige Polderlandschaft, die wir gerade im Zug am Tage der Eröffnung der neuen Hanse-Linie (9. Dezember) durchquert hatten.

Was uns erwartete, war aber ein Wunderwerk aus einfachster und modernster Bühnentechnik (Regie: Simon McBurney), eine Zauberflöte des 21. Jahrhunderts. Die hymnische Rezension in der gestrigen NRC beschreibt viele dieser schönen kleinen und großen Wunder, vergisst aber das wichtigste: Im Zentrum der Bühne hängt an vier Stahlseilen ein quadratisches Podium von ca. acht mal acht Metern, eine Bühne auf der Bühne, die sich in beliebige Stellungen und Höhen bringen lässt. Sie dient der Darstellung der verschiedenen Handlungsorte. Mal ist sie Berghang, Abgrund, Kellergewölbe, Himmel, mal Bondage-Wand (Anklänge an Fifty Shades of Grey), mal riesiger Verhandlungstisch von Sarastros Eingeweihten. Und durchgehend zeigt sie, leicht schwankend, den unsicheren Boden, auf dem die Figuren sich bewegen.
Das schwebende Podium
Dieses überaus einfache Bühnenelement bringt mit seinem Auf und Ab und in Kombination mit digital avancierter Kulissentechnik eine Dynamik und handlungsadäquate Bedrohlichkeit in die Aufführung, wie ich es bei der Zauberflöte noch nie erlebt habe.


Die Wasser-Probe
Der Verzicht auf sichtbare Freimaurersymbolik und Eingeweihtenmystik, auch bei der Kleidung, die einheitlich und jetztzeitlich ist, befreit die Oper bei fast völliger Texttreue von Kitsch und Unzeitgemäßheit. Das ist absolut verblüffend!
Sarastro hält seine Rede an die Eingeweihten mit dem Mikrophon in der Hand vom Pult des Dirigenten aus, und er richtet sie an das gesamte Opernpublikum. Die Priester, der Chor und die Statisten sitzen auf einmal gleichfalls in bühnenfüllenden Stuhlreihen auf der Bühne, und der ganze Saal wird zu der Versammlung, die “eine der wichtigsten unserer Zeit” ist. Ein kleiner Eingriff in den Text lässt das Publikum verstehen und erheitert es: “Wir alle leben in Zeiten der Krise”. Anlässe zur Heiterkeit gibt es in dieser Inszenierung mehr als sonst, nicht nur bei den Auftritten von Papageno.

Alle Beteiligten, die sonst bei einer Oper versteckt werden: die Musiker, die Bild- und Tontechniker, die Bühnenarbeiter sind jederzeit sichtbar und es wird gezeigt, was sie tun. Taminos Flöte wird aus dem Orchester heraufgereicht und nicht Tamino spielt sie, sondern der Flötist kommt herauf. Ein Hauch von epischem Theater dient sich an, aber all das ist irgendwie wärmer als bei Brecht.
Die Mitarbeiter, ob Solo- oder Chorsänger, ob Tänzer, ob Statist, bringen ein gemeinsames Produkt zur Aufführung und sind darin gleichberechtigt: eine geniale Umsetzung des niederländischen Poldermodells in die künstlerische Welt der Oper.

Was die Sänger betrifft: Christina Landshamer war eine großartige Pamina, Brindley Sherrat ein guter Sarastro und Marc Albrecht ein flotter Dirigent. Mehr kann ich hier und heute nicht schreiben.
Zu den vielen Wundern dieser Aufführung lese man die Rezension in der NRC oder diese Rezension bei Dradio, deren Kritik ich im übrigen nicht teile.

Der innovative Regisseur Simon McBurney gibt auf Youtube Auskunft zum Making Of:


Donnerstag, 6. Dezember 2012

Peter Handke: 70 Jahre und kein bisschen müde

Der große Fußgänger Peter Handke ist heute 70 Jahre alt geworden. Er geht durch die Welt und schreibt. Ich lese ihn gerne.


Im Literarischen Quartett vom 12.10.1989 wurde heftig über seinen “Versuch über die Müdigkeit” gestritten. Auf welche Seite würden Sie sich schlagen?
(Das Gespräch über Handke beginnt in Minute 23:22 und dauert eine Viertelstunde.)


Wer Interesse und mehr Zeit hat, kann sich das einstündige Gespräch Volker Panzers mit Handke aus dem Jahr 2008 anhören, bei dem Handke nach jahrelangem Schweigen bzw. Poltern sehr gelöst ins Reden kommt.
 
 
Für Handke-Anfänger empfiehlt der Autor in dem Gespräch seinen Roman “Die morawische Nacht” (2008).

Mein Lieblingsbuch von ihm ist “Mein Jahr in der Niemandsbucht” (1994). Mein Lieblingsstück nach wie vor: “Publikumsbeschimpfung” (1966).