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Donnerstag, 26. Januar 2012

Jukebox


Unter dem Label „Jukebox“ können die Gäste von Café Deutschland potentiell Artikel über alles unterbringen, was mit der Musikszene in den deutschsprachigen Ländern zu tun hat, also die ganze Palette vom Minnesang über die klassische Musik bis zu HipHop und Techno.
Natürlich war die klassische Jukebox, die man nur noch als antike Sammlerstücke zu sehen und zu hören bekommt, viel beschränkter in der Auswahl, aber für die Jugend in der Mitte des 20. Jahrhunderts war sie ein aufregendes Erlebnis. Der österreichische Schriftsteller Peter Handke hat ihr ein wunderschönes kleines Buch gewidmet.
Sein Versuch über die Jukebox (1990) ist auch für Leute, die bei Erwähnung des Namens Handke schmerzlich aufstöhnen, ein sehr lesbares, ein sehr konkretes, ein sehr anrührendes Buch, jedenfalls, wenn sie der Generation angehören, deren erste Musikerlebnisse mit dieser erstaunlichen Maschine verbunden waren. Hier ist eine Kostprobe:
„Die Box spielte, aber er wartete wie immer auf die von ihm selbst gedrückten Nummern; dann erst war es richtig. Auf einmal, nach der Plattenwechselpause, die, mitsamt ihren Geräuschen – dem Klicken, dem Suchsurren, hinwärts und herwärts durch den Gerätebauch, dem Schnappen, dem Einrasten, dem Knistern vor dem ersten Takt -, gleichsam zum Wesen der Jukebox gehörte, scholl von dort aus der Tiefe eine Musik, bei der er zum ersten Mal im Leben, und später nur noch in den Augenblicken der Liebe, das erfuhr, was in der Fachsprache ‚Levitation' heißt, und das er selber mehr als ein Vierteljahrhundert später wie nennen sollte: ‚Auffahrt'? ‚Entgrenzung'? ‚Weltwerdung'? Oder so: ‚Das – dieses Lied, dieser Klang – bin jetzt ich; mit diesen Stimmen, diesen Harmonien bin ich, wie noch nie im Leben, der geworden, der ich bin; wie dieser Gesang ist, so bin ich, ganz!‘? Ohne zunächst wissen zu wollen, wer die Gruppe war, deren Stimmen, getragen von den Gitarren, gleichermaßen einzeln, durcheinander und endlich unisono erbrausten – er hatte in den Jukeboxen bisher die Allein-Sänger bevorzugt – staunte er einfach. Als er dann aber bei seinem selten gewordenen Radiohören einmal erfuhr, wie der Chor der frechen Engelszungen hieß, die mit ihrem mir nichts, dir nichts hinausgeschmetterten ‚I want to hold your hand', ‚Love me do', ‚Roll over Beethoven' alles Gewicht der Welt von ihm nahmen, wurden das die ersten sozusagen ‚unernsten' Platten, die er sich kaufte (er kaufte in der Folge fast nur noch solche). Und heute noch dachte er, das Anfänger-Schallen der Beatles im Ohr, aus jener von Parkbäumen umstandenen Wurlitzer: Wann würde je wieder solch eine Anmut in die Welt treten?“
Peter Handke, Versuch über die Jukebox, Frankfurt am Main 1990, 87-89
Das ist wirklich sehr schön. Im Web habe ich noch eine Spätrezension entdeckt, in der dieselbe Stelle zitiert wird.

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